Christentum
ab 400 n. Chr.
Etwa 1,8 Milliarden Menschen bekennen sich zum Christentum (alle Konfessionen zusammen), der am weitesten verbreiteten Weltreligion. Neben der römisch-katholischen Kirche und den nicht an Rom gebundenen katholischen Kirchen gibt es die Gruppe der reformatorischen (protestantischen/evangelischen) Kirchen sowie die auf protestantischem Boden entstandenen christlichen Glaubensgemeinschaften.
Zu den von Rom unabhängigen katholischen Kirchen zählen die orthodoxen Kirchen, die orientalischen Kirchen sowie die altkatholische Kirche. Die beiden erstgenannten besitzen seit 1990 ein übereinstimmendes Bekenntnis und eine gemeinsame Christologie. Die orthodoxen Kirchen gingen aus der grossen Kirchenspaltung von 1054 hervor. Seitdem sind die (lateinische) Westkirche und die (griechische) Ostkirche offiziell voneinander getrennt. Zu den altorientalischen Kirchen zählen folgende: koptische orthodoxe Kirche; syrisch-orthodoxe Kirche; armenische apostolische Kirche; orthodoxe Kirche von Indien; äthiopische orthodoxe Kirche.
Die altorientalischen Kirchen weigerten sich auf mehreren Konzilen der Alten Kirche, die allgemein verbindliche Theologie vom „Gott-Menschen“ Jesus Christus zu akzeptieren. So kam es zu einem Bruch mit der Reichskirche und zu Verfolgungen von Seiten des byzantinischen Staates (Römisch Katholische Kirche). Einige Kirchen sind inzwischen wieder mit Rom uniert. Die altkatholische Kirche ist eine katholische Reformkirche mit altkirchlicher und ökumenischer Ausrichtung. Sie ging aus der Opposition gegen die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit durch das 1. Vatikanische Konzil 1870 hervor.
Über 300 Mitgliedskirchen aus etwa 100 Ländern haben sich im Ökumenischen Rat der Kirchen (auch Weltkirchenrat genannt) mit Sitz in Genf zusammengeschlossen. Sie repräsentieren rund 400 Millionen Gläubige. Hinzu kommen 29 „angeschlossene Kirchen“. Jede Mitgliedskirche muss mindestens 25 000 Mitglieder haben. Die römisch-katholische Kirche ist kein Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen, besitzt jedoch Beobachterstatus. Die reformatorischen Kirchen setzen sich aus 14 „Konfessionsfamilien“ zusammen: Lutheraner; Reformierte, Evangelisch-Unierte, Anglikaner, Mennoniten, Baptisten, Quäker, Herrnhuter Brudergemeine; Methodisten, Disciples of Christ (Jünger Christi), Freie Evangelische Gemeinden; Heilsarmee, Pfingstbewegung, Christliche Unitarier. Die Wurzeln dieser Kirchen liegen in der Reformation des 16. Jahrhunderts, deren Hauptvertreter Martin Luther (1483-1546), Johannes Calvin (1509-1564) und Ulrich Zwingli (1484-1531) waren. Die anglikanische Kirche, eine Verbindung von Katholizismus und Protestantismus, nahm eine andere Entwicklung.
Obwohl sich die Konfessionen in Gottesdienst, Lehre und Leben oft sehr unterscheiden, besteht eine unverkennbare Einheit der Welt-Christenheit: Alle christlichen Kirchen berufen sich auf Jesus Christus und die Bibel. Von allen grossen Weltreligionen ist das Christentum wohl am stärksten auf eine Person konzentriert. Der jüdische Wanderprediger Jesus wollte keine neue Religion gründen. Vom Ergebnis seines Wirkens her ist er dennoch als Religionsstifter zu bezeichnen.
Wie Judentum und Islam ist das Christentum eine monotheistische Religion: Der heilige, ewige, mächtige Gott gilt als der personal Eine und Einzige, neben dem es keine weiteren Götter gibt. Er wird als Schöpfer der gesamten Wirklichkeit und als Herr der Geschichte gesehen. Mit Jesus ist das „Reich Gottes“ und damit das Heil Gottes ganz nahe herbeigekommen. Im „Vater Unser“, dem Hauptgebet aller Christen, betet Jesus zu seinem „himmlischen Vater“, von dem er oft in Gleichnissen spricht: Gott ist wie jemand, der einem verlorenen Schaf nachläuft und die übrige Herde alleinlässt. Seinen Willen erfüllt man, indem man sich den Armen, Zu-Kurz-Gekommenen und Verachteten zuwendet. Weil Gott alle Menschen liebt, soll der Mensch seinen „Nächsten“ lieben – auch die Feinde.
Aus dem „charismatischen Wanderprediger“ (Rudolf Otto) Jesus von Nazareth, dem Verkündiger des „Reiches Gottes“ und Anführer einer jüdischen „Sekte“, wurde nach Kreuzigung, Begräbnis und Auferstehung der „Verkündigte“, der „Christus des Glaubens“. Christus ist ein Ehrentitel und bedeutet der „Gesalbte“. Im frühen Christentum entstanden mehrere Christologien (Lehren von Christus). Neben der Auffassung von Jesus als Herrn der Zukunft und Richter der Welt steht eine Christologie, die in ihm den „göttlichen Menschen“ sieht. Jesus wird als göttlicher Mittler gesehen, der wunderbare Taten vollbringen konnte. Die Weisheits- und Logos-Christologien deuten Christus als Diener, Bringer und Lehrer der göttlichen Weisheit. Die Passah- oder Oster-Christologie stellt Kreuzigung und Auferstehung Jesu in den Mittelpunkt.
In der Auseinandersetzung der christlichen Kirchen mit den antiken Religionen und Philosophien entwickelte sich allmählich die christliche Theologie. Nach den Christenverfolgungen 311 brachen dogmatische Gegensätze auf. Einmal ging es um das Verhältnis Jesu Christi zu Gott, weiterhin um das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in Jesus Christus selbst. Auf der Synode von Konstantinopel (381) wurde das bereits 325 beschlossene Glaubensbekenntnis, das sogenannte Nizänum (Christus, Sohn Gottes, gezeugt aus dem Vater als einziggeborener, d. h. aus dem Wesen des Vaters, mit dem Vater wesenseins, um das in der orientalische Kirche Streit ausgebrochen war), bestätigt. Das sogenannte Nizäno-Konstantinopolitanum lehrte die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater sowie die Trinität von Heiligem Geist, Vater und Sohn. Auf dem 4. Ökumenischen Konzil von Chalkedon 451 wurde die Christologie endgültig formuliert: Seither gilt Christus als „wahrer Gott und wahrer Mensch“. Seine beiden „Naturen“ bestehen „unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, unverteilt“. Der trinitarische Charakter des Christentums gilt vielen als das wesentliche Unterscheidungsmerkmal des Christentums gegenüber den anderen (monotheistischen) Religionen. Nicht vergessen werden sollte aber, dass es in der Geschichte des Christentums auch antitrinitarische Bewegungen gab, sogenannte Unitarier. Auch im Bereich des freisinnigen Protestantismus werden Positionen vertreten, die der nicht auf Jesus zurückgehenden und im Neuen Testament nicht ausdrücklich genannten Trinitätslehre keine Verbindlichkeit beimessen. Der trinitarische Glaube wollte nie an der Einzigkeit Gottes rütteln, die ihn mit Judentum und Islam verbindet.
Der Mensch ist als Mann und Frau „nach dem Bilde Gottes“ geschaffen. Er gilt als „Krone der Schöpfung“ und hat einen Herrschaftsauftrag über die Schöpfung verliehen bekommen. Er soll mit seinen Nachkommen die Erde bevölkern, sie bebauen und bewahren, die Schöpfung aber nicht zerstören.
Grosse Bedeutung in der Bibel hat der Gedanke der Sünde. Damit soll erklärt werden, dass die alltägliche Erfahrung des Menschseins nicht nur durch Heil, Glück, Liebe gekennzeichnet ist, sondern vielfach durch Unheil und Leid. Universalreligionen gehen nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Gustav Mensching im Unterschied zu den „Volksreligionen“ von einer „generellen und existentiellen Unheilssituation“ aus. Der biblische Ausdruck für diese unheilvolle „Gesamtsituation“ ist Sünde. Gemeint ist „ein vor aller Tat und vor aller Gesinnung liegendes Sein, eine allgemeine Situation gegenüber einem Transzendenten“. Sünde bedeutet also nicht primär ein moralisches Versagen, sondern ist Ausdruck für etwas Allgemeines und Grundlegendes in der menschlichen Existenz. Die „prophetischen Religionen“ (Judentum, Christentum, Islam, Zoroastrismus) deuten die „Unheilssituation“ als „ichsüchtige Existenz“ bzw. „Ichsüchtigkeit“, als „Richtung aller Wesenskräfte auf das Ich und seine Bedürfnisse“. Für die „mystischen Religionen“ (Buddhismus, Hinduismus, Taoismus) ist Sünde dagegen „Ichhaftigkeit“. Bereits das Ichbewusstsein als solches gilt als der markanteste Ausdruck unerlöster menschlicher Existenz.
Im Alten Testament bedeutet Sünde Verfehlung: „sich auflehnen, sich gegen jemanden empören“, gegen Gott rebellieren. Das Alte Testament kennt zwar keine Erbsündenlehre, jedoch lassen Texte wie Genesis, 6, 5-8, 21 eine allgemein-menschliche Schuldhaftigkeit erkennbar werden. Sünde ist nicht Bestandteil der guten Schöpfung Gottes, sondern bricht dämonisch aus verborgenen Tiefen des Menschen hervor. Die Zehn Gebote zeigen, wie der Mensch ein Gott wohlgefälliges Leben führen kann, das auf Vergebung angewiesen ist. Das Neue Testament setzt diese Linie fort: Der Mensch wird ständig schuldig. In den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) und in der Apostelgeschichte kommt das Wort Sünde nur im Zusammenhang mit der durch Jesu Wirken geschehenen Sündenvergebung vor. Jesus ist gekommen, um die Sünder zur Busse zu rufen (Markus 2,17). Er hat die Vollmacht, Sünden zu vergeben und überträgt diese auch auf seine Nachfolger (Markus 11, 25; Matthäus 6, 14; Johannes 20, 23). Für Paulus dagegen ist Sünde eine personifizierte Macht, die seit Adams Fall bis zur Erlösung durch Christus die Menschheit beherrscht. Sünde ist Schicksal und Verhängnis (Römerbrief 7, 15-20; 5, 12). Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen.
Der Kirchenvater Tertullian prägte wohl als erster den Begriff „Ursünde“. Vor allem der bedeutendste Theologe der alten Westkirche, Augustinus (354-430), entwickelte in seiner Auseinandersetzung mit dem Briten Pelagius (gest. nach 418) die in der Theologiegeschichte äusserst einflussreiche Lehre von der „Erbsünde“. Der Konzils-Text von Trient (1545-1563), der sich zum Teil auch von Augustinus’ Auffassung entfernt, hebt die „Übertragung (der Erbsünde) durch Fortpflanzung“ hervor. Die Erbschuld wird durch die Kindertaufe beseitigt. Die Reformatoren deuteten die Sünde radikal als „ichsüchtigen“ Ungehorsam, Unglaube, hochmütige Emanzipation, kurz: als verkehrtes Verhältnis zu Gott. Das Christentum ist eine Erlösungsreligion, weil es Erlösung, beziehungsweise Befreiung aus der „sündhaften“ Unheilssituation verspricht.
Die christliche Ethik hat ihre Grundlage in der Botschaft Jesu und seinem „Doppelgebot der Liebe“. Als Jesus von einem jüdischen Gesetzeslehrer nach dem „vornehmsten Gebot im Gesetz“ gefragt wird, zitiert er zwei Stellen aus dem Alten Testament (Deuteronomium 6, 5; Levitikus 19, 18): „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte. Dies ist das vornehmste und grösste Gebot. Das andere ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Zusammengefasst spricht hier Jesus von der ersten, gottbezogenen und zweiten, menschenbezogenen Steintafeln aus dem Alten Testament. Somit orientiert sich christliches Handeln an biblischen Weisungen, in erster Linie am Dekalog (Zehn Gebote). Wenn Jesus erklärt, wie man Gottes Willen tut, verweist er auf alttestamentliche Weisungen. In der „Bergpredigt“ (Matthäus 5-7) bzw. in der „Feldrede“ (Lukas 6, 17) legt Jesus diese Weisungen zur Erinnerung an den ewigen Bund neu aus.
Zur Grundorientierung des christlichen Handelns gehört auch die – von zahlreichen Religionen gelehrte – „Goldene Regel“ in ihrer positiven Fassung: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Das ist das Gesetz und die Propheten“ (Matthäus 7, 12). Wesentlich für die christliche Ethik ist der Gedanke der Nachfolge Jesu.
Der katholische Reformtheologe Alfred Loisy (1857-1940) schrieb einmal: „Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen aber ist die Kirche“. Die christlichen Denominationen unterscheiden sich u. a. in der Frömmigkeit, in abweichenden Auffassungen vom Wesen der Kirche und ihren Sakramenten, im Verständnis der Heiligen Schrift, kirchlicher Tradition und kirchlichem Lehramt. Wenn Protestanten eine katholische Kirche betreten, öffnet sich ihren Sinnen eine weitgehend unvertraute Welt: Es riecht nach Weihrauch, Menschen bekreuzigen sich, knien nieder, nehmen Weihwasser. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Kirchen liegt sodann in der Ämterauffassung. Durch die Weihe bekommt der katholische Priester ein „unauslöschbares Siegel Christi“, den „unzerstörbaren Charakter“, eingeprägt. Dadurch wird er dem „Priester Christus gleichförmig“. Priester und Laie sind nicht bloss gradweise, sondern ihrem „Wesen“ nach grundsätzlich unterschieden. Die Reformatoren dagegen traten für das „Priestertum aller Glaubenden“ ein. Weitere Unterschiede bestehen in der Marienfrömmigkeit und Heiligenverehrung katholischer Christen. Im römischen Katholizismus gilt der Papst als Nachfolger des Apostels Petrus im römischen Bischofsamt. Er beansprucht die damit verbundene geistliche und rechtliche Vormachtsstellung (Primat). Protestanten, die den Papst zur Reformationszeit als „Hure Babylons“ verhöhnten, halten heutzutage eine Gemeinschaft mit ihm, nicht jedoch unter ihm, immerhin für möglich.
Katholiken und Protestanten vertrauen auf Gottes Gnade. Wie aber der sündige Mensch gerechtfertigt wird, welche Rolle die Kirche dabei spielt, wird unterschiedlich gesehen. Abweichungen bestehen auch in der Lehre von den Sakramenten. Für Katholiken gibt es sieben von Jesus eingesetzte wirksame Gnadenzeichen: Busse, Taufe, Eucharistie, Firmung, Ehe, Priesterweihe, Krankensalbung. Protestanten erkennen nur Taufe und Abendmahl als Sakramente an.
Das „Kirchenjahr“ beginnt im Unterschied zum bürgerlichen Jahr am 1. Advent. Dem Weihnachtskreis (vier Adventssonntage, Heiligabend, Weihnachten, Erscheinungsfest/Epiphanias; Fest der Heiligen drei Könige; Darstellung Jesu im Tempel) folgt der Osterfestkreis: Aschermittwoch bis Karsamstag; Passionszeit; Ostern; Christi Himmelfahrt und die Trinitätszeit, beziehungsweise der Pfingstkreis: Pfingsten; Trinitatis, Fronleichnam; Reformationsfest der evangelischen Kirchen; Fest für alle Heiligen der (katholischen) Kirche (Allerheiligen); Allerseelen, Totensonntag/Ewigkeitssonntag.
Urheber und zentrale Gestalt des Christentums war Jesus von Nazareth, der vermutlich um 4 v. Chr. geboren wurde. Paulus gründete christliche Gemeinden in der hellenistischen Welt. Auf dem Apostelkonzil (49 n. Chr.) überzeugte er die übrigen Apostel davon, dass es nicht erforderlich sei, jüdische Traditionen und Gesetze zu erfüllen, um Christ zu sein. So wurde aus der einstigen „paulanischen Sekte“ eine Weltreligion. Das Ur-Christentum war im Römischen Reich zunächst eine „unerlaubte Religion“. Bis die Christen von Konstantin dem Grossen im Edikt von Mailand 311 als „erlaubte Religion“ geduldet und von Kaiser Theodosius I. 380 offiziell als Staatsreligion anerkannt wurden, waren sie zahlreichen Ur-Christenverfolgungen unter den Kaisern Nero (37-68), Decius (249-251), Valerian (253-260) und Diokletian (284-305) ausgesetzt. In den ersten Jahrhunderten lag das Schwergewicht des Christentums im Osten. Dort blühte die Theologie auf, und dort wurden die grossen Dogmenkämpfe des 4. und 5. Jahrhunderts ausgetragen. Eine Ausnahme bildete das Werk des lateinischen Kirchenvaters Augustinus (354-430), der einer der bekanntesten Fürsprecher des Christentums wurde. 476 endete das Römische Reich und teilte sich in das Weströmische Reich mit Rom als Hauptstadt und das Oströmische Reich, dessen Zentrum Kontantinopel bildete. Damit wurde auch eine neue Phase in der Geschichte des Christentums eingeleitet.
Die zweite Phase der Geschichte des Christentums begann mit der Christianisierung der germanischen, romanischen und slawischen Völker. Dieser Umbruch war das Ergebnis der Spaltung des Imperium Romanum 476, der Staatenbildungen der Westgermanen sowie ihrer Integration in die katholische Kirche. Während die ostgermanisch-arianischen Christ-Kirchen noch gegen diese Erneuerung kämpften, setzte sich der römische Katholizismus allmählich durch. Vor allem in den Ländern Ost- und Nordwesteuropas war das Christentum erfolgreich (Alemannen, Bayern, Thüringen, Hessen, Angeln, Sachsen, Friesen, Skandinavier). Die Christianisierung der Germanen erstreckte sich über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren (2.-12. Jahrhundert), die der Slawen erfolgte zwischen 600 und 1400. Nilaufwärts bis nach Äthiopien entfalteten die ägyptischen Monophysiten ihre Wirksamkeit. Die Nestorianer brachten das Christentum nach Indien, in das Innere Asiens und im 7. Jahrhundert nach China.
Ein wichtiger Einschnitt ist das Auftreten des Islam als geschichtsbestimmende Macht. Die Religion Mohammeds stiess neben der griechischen Reichskirche auf eine Reihe nationaler Sonderkirchen (äthiopische Kirche; koptische Kirche, Jakobiten in Syrien, Nestorianer in Persien, armenische Kirche), die den Islam als Befreiung vom Katholischen Drang zum neuen Bund erfuhren. Denn die Urchristlichen Werte wurden im Islam identisch ausgelegt. Der Islam brachte mit ihren Befreiungsbewegungen den unterdrückten Christen den ersehnten Frieden in einen innerkirchlichen Streit.
Der Unterschied zwischen den Kirchen des Abendlandes und denen des Ostens vergrösserte sich immer mehr, und 1054 kam es nach mehrfachen früheren Schismen und Rangstreitigkeiten zum endgültigen Bruch (Morgenländisches Schisma). Nach der Kirchenspaltung 1054 bildete sich eine griechisch-sprachige christliche Kultur in Osteuropa und eine lateinisch-sprachige christliche Kultur in Westeuropa. Letztere entwickelte die Scholastik, eine Wissenschaft, in deren Mittelpunkt die Theologie stand. Zu ihren Hauptvertretern zählen Johannes Scotus Erigena, Anselm von Canterbury, Pierre Abélard, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus sowie Wilhelm von Ockham. Es kam zu einer Vereinheitlichung des geistigen Lebens, so dass das Christentum zur alleinigen Weltanschauung des Mittelalters wurde. 1215 forderte das 4. Lateran Konzil alle verurteilten Ketzer, die vom Christentum abweichende Lehren vertraten, an die weltliche Macht auszuliefern und 1231/32 wurde die Inquisition zu einer päpstlichen Behörde. Die mittelalterliche Gesellschaft bildete ein Feudalsystem heraus, an deren Spitze das Kaiser- und Papsttum standen. Die grundsätzliche Frage von weltlicher und geistlicher Gewalt zeigte sich im Investiturstreit, der Auseinandersetzung um die Einsetzung der Bischöfe und Äbte in ihre Ämter, die durch das Wormser Konkordat beigelegt wurde.
Als Reaktion auf die Macht der römisch-katholischen Kirche entstand die Armutsbewegung, deren Leitbild der „arme Christus“ war. Zu ihnen gehören die Bettelorden wie z. B. die Franziskaner und Dominikaner, die im 13. Jahrhundert von der Kirche zugelassen wurden. Die mittelalterliche Kunst, die ausschliesslich christlich geprägt war, entstand in Klöstern und entwickelte sich im Zusammenhang mit dem Bau von Kirchen. Im Mittelalter bildete sich ein Erziehungssystem heraus; seit dem 12. Jahrhundert kamen zu den Klosterschulen die Domschulen hinzu, deren Zusammenschluss mit den privaten Gelehrtenschulen zur Gründung der ersten Universitäten führte. Allmählich fiel der Kirche die Hoheit über den Staat zu. Der Papst wurde gewissermassen zum Herrn der Welt, der die Fürsten und Bischöfe als seine Untergebenen betrachtete. Im Zusammenhang mit dieser Machtstellung traten in der Kirche Verfallserscheinungen auf, die den Ruf nach einer Reformation an „Haupt und Gliedern“ laut werden liessen. Als Beginn der Reformation gilt allgemein die Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers am 31. Oktober 1517.
Neben Luther waren es Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, die die Reformation begründeten, die zum Entstehen neuer, vom Papst unabhängiger Kirchen führte. Vorbereitet wurde die Reformation durch eine Reihe von Motiven: Die geistesgeschichtlichen Spannungen des Spät-Mittelalters; die in der Renaissance einsetzende historische Kritik auch an den Einrichtungen der Kirche; die durch die Erfindung der Buchdruckerkunst allgemein zugänglich gemachten Schriften der Bibel und der Kirchenväter; das Streben der Fürsten und weltlichen Machthaber, das landesherrliche Kirchenregiment weiter auszubauen; die sozialen Gegensätze in den Städten; die inneren Verfallserscheinungen der Kirche; die anwachsende Bedeutung der Laien und ihr Streben nach religiöser Erneuerung. Die Landeskirchen legten auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) ein erstes grundlegendes Bekenntnis ab: das Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana). Reichsrechtlich wurden sie 1559 im Ausgburger Religionsfrieden anerkannt. Von Zürich aus unternahm Zwingli und von Genf aus Calvin die Reformation in der deutschen bzw. französischen Schweiz. Zwischen beiden Reformatoren kam es wegen ihrer unterschiedlichen Abendmahlsauffassung zu keiner Einigung (Zwinglianismus im Bodenseegebiet; Calvinismus in Teilen des lutherischen Deutschland und in Frankreich). Im Gefolge der Reformation entstanden in den einzelnen deutschen Territorien voneinander unabhängige Landeskirchen, die dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstanden. Das 1580 veröffentlichte Konkordienbuch ist die massgebliche Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften. Der Heidelberger Katechismus von 1563 stellt die am weitesten verbreitete Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen (Schweiz, Schottland, Teile Deutschlands, Frankreich, Ungarn, USA: Presbyterianer) dar. In England kam es – aufgrund der Verweigerung der obersten Leitungsgewalt des Papstes – zur Entstehung der anglikanischen Kirche. Die Ausbreitung des Protestantismus in Europa führte auf der Seite der römisch-katholischen Kirche zur Gegenreformation, die das Ziel hatte, protestantische Gebiete zu rekatholisieren.
Die Ausbreitung des Christentums in der Neuzeit hängt mit der politischen Expansion Europas zusammen. Vor allem die Jesuiten waren es, die seit den geographischen Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts (Amerika, Seeweg nach Indien, Afrika, China) ihre Missionare bis nach Indien und China aussandten. Ein bedeutender Pionier war Franz Xavier, der bis nach Japan gelangte. Die organisierte protestantische Mission setzte erst mit der Entsendung des Missionars Bartholomäus Ziegenbalg Anfang des 18. Jahrhunderts nach Indien ein. Der Pietismus (Herrnhuter Brüdergemeine, Württemberger Pietisten) war sehr stark missionarisch engagiert. Zahlreiche Missionsgesellschaften (Leipziger, Hermannsburger, Neuendettelsauer Missionen) waren in vielen Teilen der Welt tätig. Es entstanden grosse „Stammeskirchen“ (Batak-Kirche in Sumatra; Gossner-Kirche in Nordindien; Kirchen im Inneren Ostafrikas), deren Mitglieder oftmals geschlossen zum Christentum übertraten. Einer der herausragenden Missionare in Afrika war der als liberaler Theologe und Arzt gleichermassen bedeutende Albert Schweitzer.
Das Christentum in Nordamerika geht vor allem auf die Einwanderung aus Europa zurück. Die Einwanderer behielten ihre Religion bei, woraus sich die heutige Vielfalt des amerikanischen Christentums erklärt, das etwa 250 verschiedene Denominationen umfasst. Im 19. Jahrhundert spielte die Auseinandersetzung um die Sklavenfrage eine grosse Rolle. Der später ermordete Baptistenpfarrer Martin Luther King (1929-1968) übernahm eine führende Rolle in der Bürgerrechtsbewegung. Im lateinamerikanischen Christentum ragen einige mutige Theologen hervor, welche die soziale Ungerechtigkeit in ihrem Land beseitigen wollten: Camillo Torres, Dom Helder Camara, Oscar Romero, Ernesto Cardenal.
Seit einigen Jahrzehnten wächst das ökumenische Bewusstsein um die Zusammengehörigkeit der Christen. 1948 wurde in Genf der Ökumenische Rat der Kirchen gegründet, dessen Entstehen Nathan Söderblom wesentlich mit vorbereitet hatte. Über die Ökumene aus Katholiken und Protestanten bzw. aus Katholiken, Protestanten und Orthodoxen hinaus ist der christlich-jüdische Dialog bzw. die „abrahamitische Ökumene“ (Juden, Christen und Muslime) wichtiger geworden. Zu den weltweit führenden Dialog-Autoren können John Hick, Paul F. Knitter, Hans Küng, Raimundo Panikkar, Ulrich Schoen, Leonard Swidler, A.Muhsin Sabanci, Wilfred Cantwell Smith gezählt werden.
Etwa 1,8 Milliarden Menschen bekennen sich zum Christentum (alle Konfessionen zusammen), der am weitesten verbreiteten Weltreligion. Neben der römisch-katholischen Kirche und den nicht an Rom gebundenen katholischen Kirchen gibt es die Gruppe der reformatorischen (protestantischen/evangelischen) Kirchen sowie die auf protestantischem Boden entstandenen christlichen Glaubensgemeinschaften.
Zu den von Rom unabhängigen katholischen Kirchen zählen die orthodoxen Kirchen, die orientalischen Kirchen sowie die altkatholische Kirche. Die beiden erstgenannten besitzen seit 1990 ein übereinstimmendes Bekenntnis und eine gemeinsame Christologie. Die orthodoxen Kirchen gingen aus der grossen Kirchenspaltung von 1054 hervor. Seitdem sind die (lateinische) Westkirche und die (griechische) Ostkirche offiziell voneinander getrennt. Zu den altorientalischen Kirchen zählen folgende: koptische orthodoxe Kirche; syrisch-orthodoxe Kirche; armenische apostolische Kirche; orthodoxe Kirche von Indien; äthiopische orthodoxe Kirche.
Die altorientalischen Kirchen weigerten sich auf mehreren Konzilen der Alten Kirche, die allgemein verbindliche Theologie vom „Gott-Menschen“ Jesus Christus zu akzeptieren. So kam es zu einem Bruch mit der Reichskirche und zu Verfolgungen von Seiten des byzantinischen Staates (Römisch Katholische Kirche). Einige Kirchen sind inzwischen wieder mit Rom uniert. Die altkatholische Kirche ist eine katholische Reformkirche mit altkirchlicher und ökumenischer Ausrichtung. Sie ging aus der Opposition gegen die Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit durch das 1. Vatikanische Konzil 1870 hervor.
Über 300 Mitgliedskirchen aus etwa 100 Ländern haben sich im Ökumenischen Rat der Kirchen (auch Weltkirchenrat genannt) mit Sitz in Genf zusammengeschlossen. Sie repräsentieren rund 400 Millionen Gläubige. Hinzu kommen 29 „angeschlossene Kirchen“. Jede Mitgliedskirche muss mindestens 25 000 Mitglieder haben. Die römisch-katholische Kirche ist kein Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen, besitzt jedoch Beobachterstatus. Die reformatorischen Kirchen setzen sich aus 14 „Konfessionsfamilien“ zusammen: Lutheraner; Reformierte, Evangelisch-Unierte, Anglikaner, Mennoniten, Baptisten, Quäker, Herrnhuter Brudergemeine; Methodisten, Disciples of Christ (Jünger Christi), Freie Evangelische Gemeinden; Heilsarmee, Pfingstbewegung, Christliche Unitarier. Die Wurzeln dieser Kirchen liegen in der Reformation des 16. Jahrhunderts, deren Hauptvertreter Martin Luther (1483-1546), Johannes Calvin (1509-1564) und Ulrich Zwingli (1484-1531) waren. Die anglikanische Kirche, eine Verbindung von Katholizismus und Protestantismus, nahm eine andere Entwicklung.
Obwohl sich die Konfessionen in Gottesdienst, Lehre und Leben oft sehr unterscheiden, besteht eine unverkennbare Einheit der Welt-Christenheit: Alle christlichen Kirchen berufen sich auf Jesus Christus und die Bibel. Von allen grossen Weltreligionen ist das Christentum wohl am stärksten auf eine Person konzentriert. Der jüdische Wanderprediger Jesus wollte keine neue Religion gründen. Vom Ergebnis seines Wirkens her ist er dennoch als Religionsstifter zu bezeichnen.
Wie Judentum und Islam ist das Christentum eine monotheistische Religion: Der heilige, ewige, mächtige Gott gilt als der personal Eine und Einzige, neben dem es keine weiteren Götter gibt. Er wird als Schöpfer der gesamten Wirklichkeit und als Herr der Geschichte gesehen. Mit Jesus ist das „Reich Gottes“ und damit das Heil Gottes ganz nahe herbeigekommen. Im „Vater Unser“, dem Hauptgebet aller Christen, betet Jesus zu seinem „himmlischen Vater“, von dem er oft in Gleichnissen spricht: Gott ist wie jemand, der einem verlorenen Schaf nachläuft und die übrige Herde alleinlässt. Seinen Willen erfüllt man, indem man sich den Armen, Zu-Kurz-Gekommenen und Verachteten zuwendet. Weil Gott alle Menschen liebt, soll der Mensch seinen „Nächsten“ lieben – auch die Feinde.
Aus dem „charismatischen Wanderprediger“ (Rudolf Otto) Jesus von Nazareth, dem Verkündiger des „Reiches Gottes“ und Anführer einer jüdischen „Sekte“, wurde nach Kreuzigung, Begräbnis und Auferstehung der „Verkündigte“, der „Christus des Glaubens“. Christus ist ein Ehrentitel und bedeutet der „Gesalbte“. Im frühen Christentum entstanden mehrere Christologien (Lehren von Christus). Neben der Auffassung von Jesus als Herrn der Zukunft und Richter der Welt steht eine Christologie, die in ihm den „göttlichen Menschen“ sieht. Jesus wird als göttlicher Mittler gesehen, der wunderbare Taten vollbringen konnte. Die Weisheits- und Logos-Christologien deuten Christus als Diener, Bringer und Lehrer der göttlichen Weisheit. Die Passah- oder Oster-Christologie stellt Kreuzigung und Auferstehung Jesu in den Mittelpunkt.
In der Auseinandersetzung der christlichen Kirchen mit den antiken Religionen und Philosophien entwickelte sich allmählich die christliche Theologie. Nach den Christenverfolgungen 311 brachen dogmatische Gegensätze auf. Einmal ging es um das Verhältnis Jesu Christi zu Gott, weiterhin um das Verhältnis der göttlichen und menschlichen Natur in Jesus Christus selbst. Auf der Synode von Konstantinopel (381) wurde das bereits 325 beschlossene Glaubensbekenntnis, das sogenannte Nizänum (Christus, Sohn Gottes, gezeugt aus dem Vater als einziggeborener, d. h. aus dem Wesen des Vaters, mit dem Vater wesenseins, um das in der orientalische Kirche Streit ausgebrochen war), bestätigt. Das sogenannte Nizäno-Konstantinopolitanum lehrte die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater sowie die Trinität von Heiligem Geist, Vater und Sohn. Auf dem 4. Ökumenischen Konzil von Chalkedon 451 wurde die Christologie endgültig formuliert: Seither gilt Christus als „wahrer Gott und wahrer Mensch“. Seine beiden „Naturen“ bestehen „unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, unverteilt“. Der trinitarische Charakter des Christentums gilt vielen als das wesentliche Unterscheidungsmerkmal des Christentums gegenüber den anderen (monotheistischen) Religionen. Nicht vergessen werden sollte aber, dass es in der Geschichte des Christentums auch antitrinitarische Bewegungen gab, sogenannte Unitarier. Auch im Bereich des freisinnigen Protestantismus werden Positionen vertreten, die der nicht auf Jesus zurückgehenden und im Neuen Testament nicht ausdrücklich genannten Trinitätslehre keine Verbindlichkeit beimessen. Der trinitarische Glaube wollte nie an der Einzigkeit Gottes rütteln, die ihn mit Judentum und Islam verbindet.
Der Mensch ist als Mann und Frau „nach dem Bilde Gottes“ geschaffen. Er gilt als „Krone der Schöpfung“ und hat einen Herrschaftsauftrag über die Schöpfung verliehen bekommen. Er soll mit seinen Nachkommen die Erde bevölkern, sie bebauen und bewahren, die Schöpfung aber nicht zerstören.
Grosse Bedeutung in der Bibel hat der Gedanke der Sünde. Damit soll erklärt werden, dass die alltägliche Erfahrung des Menschseins nicht nur durch Heil, Glück, Liebe gekennzeichnet ist, sondern vielfach durch Unheil und Leid. Universalreligionen gehen nach Ansicht des Religionswissenschaftlers Gustav Mensching im Unterschied zu den „Volksreligionen“ von einer „generellen und existentiellen Unheilssituation“ aus. Der biblische Ausdruck für diese unheilvolle „Gesamtsituation“ ist Sünde. Gemeint ist „ein vor aller Tat und vor aller Gesinnung liegendes Sein, eine allgemeine Situation gegenüber einem Transzendenten“. Sünde bedeutet also nicht primär ein moralisches Versagen, sondern ist Ausdruck für etwas Allgemeines und Grundlegendes in der menschlichen Existenz. Die „prophetischen Religionen“ (Judentum, Christentum, Islam, Zoroastrismus) deuten die „Unheilssituation“ als „ichsüchtige Existenz“ bzw. „Ichsüchtigkeit“, als „Richtung aller Wesenskräfte auf das Ich und seine Bedürfnisse“. Für die „mystischen Religionen“ (Buddhismus, Hinduismus, Taoismus) ist Sünde dagegen „Ichhaftigkeit“. Bereits das Ichbewusstsein als solches gilt als der markanteste Ausdruck unerlöster menschlicher Existenz.
Im Alten Testament bedeutet Sünde Verfehlung: „sich auflehnen, sich gegen jemanden empören“, gegen Gott rebellieren. Das Alte Testament kennt zwar keine Erbsündenlehre, jedoch lassen Texte wie Genesis, 6, 5-8, 21 eine allgemein-menschliche Schuldhaftigkeit erkennbar werden. Sünde ist nicht Bestandteil der guten Schöpfung Gottes, sondern bricht dämonisch aus verborgenen Tiefen des Menschen hervor. Die Zehn Gebote zeigen, wie der Mensch ein Gott wohlgefälliges Leben führen kann, das auf Vergebung angewiesen ist. Das Neue Testament setzt diese Linie fort: Der Mensch wird ständig schuldig. In den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) und in der Apostelgeschichte kommt das Wort Sünde nur im Zusammenhang mit der durch Jesu Wirken geschehenen Sündenvergebung vor. Jesus ist gekommen, um die Sünder zur Busse zu rufen (Markus 2,17). Er hat die Vollmacht, Sünden zu vergeben und überträgt diese auch auf seine Nachfolger (Markus 11, 25; Matthäus 6, 14; Johannes 20, 23). Für Paulus dagegen ist Sünde eine personifizierte Macht, die seit Adams Fall bis zur Erlösung durch Christus die Menschheit beherrscht. Sünde ist Schicksal und Verhängnis (Römerbrief 7, 15-20; 5, 12). Durch die Sünde ist der Tod in die Welt gekommen.
Der Kirchenvater Tertullian prägte wohl als erster den Begriff „Ursünde“. Vor allem der bedeutendste Theologe der alten Westkirche, Augustinus (354-430), entwickelte in seiner Auseinandersetzung mit dem Briten Pelagius (gest. nach 418) die in der Theologiegeschichte äusserst einflussreiche Lehre von der „Erbsünde“. Der Konzils-Text von Trient (1545-1563), der sich zum Teil auch von Augustinus’ Auffassung entfernt, hebt die „Übertragung (der Erbsünde) durch Fortpflanzung“ hervor. Die Erbschuld wird durch die Kindertaufe beseitigt. Die Reformatoren deuteten die Sünde radikal als „ichsüchtigen“ Ungehorsam, Unglaube, hochmütige Emanzipation, kurz: als verkehrtes Verhältnis zu Gott. Das Christentum ist eine Erlösungsreligion, weil es Erlösung, beziehungsweise Befreiung aus der „sündhaften“ Unheilssituation verspricht.
Die christliche Ethik hat ihre Grundlage in der Botschaft Jesu und seinem „Doppelgebot der Liebe“. Als Jesus von einem jüdischen Gesetzeslehrer nach dem „vornehmsten Gebot im Gesetz“ gefragt wird, zitiert er zwei Stellen aus dem Alten Testament (Deuteronomium 6, 5; Levitikus 19, 18): „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte. Dies ist das vornehmste und grösste Gebot. Das andere ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Zusammengefasst spricht hier Jesus von der ersten, gottbezogenen und zweiten, menschenbezogenen Steintafeln aus dem Alten Testament. Somit orientiert sich christliches Handeln an biblischen Weisungen, in erster Linie am Dekalog (Zehn Gebote). Wenn Jesus erklärt, wie man Gottes Willen tut, verweist er auf alttestamentliche Weisungen. In der „Bergpredigt“ (Matthäus 5-7) bzw. in der „Feldrede“ (Lukas 6, 17) legt Jesus diese Weisungen zur Erinnerung an den ewigen Bund neu aus.
Zur Grundorientierung des christlichen Handelns gehört auch die – von zahlreichen Religionen gelehrte – „Goldene Regel“ in ihrer positiven Fassung: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Das ist das Gesetz und die Propheten“ (Matthäus 7, 12). Wesentlich für die christliche Ethik ist der Gedanke der Nachfolge Jesu.
Der katholische Reformtheologe Alfred Loisy (1857-1940) schrieb einmal: „Jesus verkündete das Reich Gottes, gekommen aber ist die Kirche“. Die christlichen Denominationen unterscheiden sich u. a. in der Frömmigkeit, in abweichenden Auffassungen vom Wesen der Kirche und ihren Sakramenten, im Verständnis der Heiligen Schrift, kirchlicher Tradition und kirchlichem Lehramt. Wenn Protestanten eine katholische Kirche betreten, öffnet sich ihren Sinnen eine weitgehend unvertraute Welt: Es riecht nach Weihrauch, Menschen bekreuzigen sich, knien nieder, nehmen Weihwasser. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Kirchen liegt sodann in der Ämterauffassung. Durch die Weihe bekommt der katholische Priester ein „unauslöschbares Siegel Christi“, den „unzerstörbaren Charakter“, eingeprägt. Dadurch wird er dem „Priester Christus gleichförmig“. Priester und Laie sind nicht bloss gradweise, sondern ihrem „Wesen“ nach grundsätzlich unterschieden. Die Reformatoren dagegen traten für das „Priestertum aller Glaubenden“ ein. Weitere Unterschiede bestehen in der Marienfrömmigkeit und Heiligenverehrung katholischer Christen. Im römischen Katholizismus gilt der Papst als Nachfolger des Apostels Petrus im römischen Bischofsamt. Er beansprucht die damit verbundene geistliche und rechtliche Vormachtsstellung (Primat). Protestanten, die den Papst zur Reformationszeit als „Hure Babylons“ verhöhnten, halten heutzutage eine Gemeinschaft mit ihm, nicht jedoch unter ihm, immerhin für möglich.
Katholiken und Protestanten vertrauen auf Gottes Gnade. Wie aber der sündige Mensch gerechtfertigt wird, welche Rolle die Kirche dabei spielt, wird unterschiedlich gesehen. Abweichungen bestehen auch in der Lehre von den Sakramenten. Für Katholiken gibt es sieben von Jesus eingesetzte wirksame Gnadenzeichen: Busse, Taufe, Eucharistie, Firmung, Ehe, Priesterweihe, Krankensalbung. Protestanten erkennen nur Taufe und Abendmahl als Sakramente an.
Das „Kirchenjahr“ beginnt im Unterschied zum bürgerlichen Jahr am 1. Advent. Dem Weihnachtskreis (vier Adventssonntage, Heiligabend, Weihnachten, Erscheinungsfest/Epiphanias; Fest der Heiligen drei Könige; Darstellung Jesu im Tempel) folgt der Osterfestkreis: Aschermittwoch bis Karsamstag; Passionszeit; Ostern; Christi Himmelfahrt und die Trinitätszeit, beziehungsweise der Pfingstkreis: Pfingsten; Trinitatis, Fronleichnam; Reformationsfest der evangelischen Kirchen; Fest für alle Heiligen der (katholischen) Kirche (Allerheiligen); Allerseelen, Totensonntag/Ewigkeitssonntag.
Urheber und zentrale Gestalt des Christentums war Jesus von Nazareth, der vermutlich um 4 v. Chr. geboren wurde. Paulus gründete christliche Gemeinden in der hellenistischen Welt. Auf dem Apostelkonzil (49 n. Chr.) überzeugte er die übrigen Apostel davon, dass es nicht erforderlich sei, jüdische Traditionen und Gesetze zu erfüllen, um Christ zu sein. So wurde aus der einstigen „paulanischen Sekte“ eine Weltreligion. Das Ur-Christentum war im Römischen Reich zunächst eine „unerlaubte Religion“. Bis die Christen von Konstantin dem Grossen im Edikt von Mailand 311 als „erlaubte Religion“ geduldet und von Kaiser Theodosius I. 380 offiziell als Staatsreligion anerkannt wurden, waren sie zahlreichen Ur-Christenverfolgungen unter den Kaisern Nero (37-68), Decius (249-251), Valerian (253-260) und Diokletian (284-305) ausgesetzt. In den ersten Jahrhunderten lag das Schwergewicht des Christentums im Osten. Dort blühte die Theologie auf, und dort wurden die grossen Dogmenkämpfe des 4. und 5. Jahrhunderts ausgetragen. Eine Ausnahme bildete das Werk des lateinischen Kirchenvaters Augustinus (354-430), der einer der bekanntesten Fürsprecher des Christentums wurde. 476 endete das Römische Reich und teilte sich in das Weströmische Reich mit Rom als Hauptstadt und das Oströmische Reich, dessen Zentrum Kontantinopel bildete. Damit wurde auch eine neue Phase in der Geschichte des Christentums eingeleitet.
Die zweite Phase der Geschichte des Christentums begann mit der Christianisierung der germanischen, romanischen und slawischen Völker. Dieser Umbruch war das Ergebnis der Spaltung des Imperium Romanum 476, der Staatenbildungen der Westgermanen sowie ihrer Integration in die katholische Kirche. Während die ostgermanisch-arianischen Christ-Kirchen noch gegen diese Erneuerung kämpften, setzte sich der römische Katholizismus allmählich durch. Vor allem in den Ländern Ost- und Nordwesteuropas war das Christentum erfolgreich (Alemannen, Bayern, Thüringen, Hessen, Angeln, Sachsen, Friesen, Skandinavier). Die Christianisierung der Germanen erstreckte sich über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren (2.-12. Jahrhundert), die der Slawen erfolgte zwischen 600 und 1400. Nilaufwärts bis nach Äthiopien entfalteten die ägyptischen Monophysiten ihre Wirksamkeit. Die Nestorianer brachten das Christentum nach Indien, in das Innere Asiens und im 7. Jahrhundert nach China.
Ein wichtiger Einschnitt ist das Auftreten des Islam als geschichtsbestimmende Macht. Die Religion Mohammeds stiess neben der griechischen Reichskirche auf eine Reihe nationaler Sonderkirchen (äthiopische Kirche; koptische Kirche, Jakobiten in Syrien, Nestorianer in Persien, armenische Kirche), die den Islam als Befreiung vom Katholischen Drang zum neuen Bund erfuhren. Denn die Urchristlichen Werte wurden im Islam identisch ausgelegt. Der Islam brachte mit ihren Befreiungsbewegungen den unterdrückten Christen den ersehnten Frieden in einen innerkirchlichen Streit.
Der Unterschied zwischen den Kirchen des Abendlandes und denen des Ostens vergrösserte sich immer mehr, und 1054 kam es nach mehrfachen früheren Schismen und Rangstreitigkeiten zum endgültigen Bruch (Morgenländisches Schisma). Nach der Kirchenspaltung 1054 bildete sich eine griechisch-sprachige christliche Kultur in Osteuropa und eine lateinisch-sprachige christliche Kultur in Westeuropa. Letztere entwickelte die Scholastik, eine Wissenschaft, in deren Mittelpunkt die Theologie stand. Zu ihren Hauptvertretern zählen Johannes Scotus Erigena, Anselm von Canterbury, Pierre Abélard, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus sowie Wilhelm von Ockham. Es kam zu einer Vereinheitlichung des geistigen Lebens, so dass das Christentum zur alleinigen Weltanschauung des Mittelalters wurde. 1215 forderte das 4. Lateran Konzil alle verurteilten Ketzer, die vom Christentum abweichende Lehren vertraten, an die weltliche Macht auszuliefern und 1231/32 wurde die Inquisition zu einer päpstlichen Behörde. Die mittelalterliche Gesellschaft bildete ein Feudalsystem heraus, an deren Spitze das Kaiser- und Papsttum standen. Die grundsätzliche Frage von weltlicher und geistlicher Gewalt zeigte sich im Investiturstreit, der Auseinandersetzung um die Einsetzung der Bischöfe und Äbte in ihre Ämter, die durch das Wormser Konkordat beigelegt wurde.
Als Reaktion auf die Macht der römisch-katholischen Kirche entstand die Armutsbewegung, deren Leitbild der „arme Christus“ war. Zu ihnen gehören die Bettelorden wie z. B. die Franziskaner und Dominikaner, die im 13. Jahrhundert von der Kirche zugelassen wurden. Die mittelalterliche Kunst, die ausschliesslich christlich geprägt war, entstand in Klöstern und entwickelte sich im Zusammenhang mit dem Bau von Kirchen. Im Mittelalter bildete sich ein Erziehungssystem heraus; seit dem 12. Jahrhundert kamen zu den Klosterschulen die Domschulen hinzu, deren Zusammenschluss mit den privaten Gelehrtenschulen zur Gründung der ersten Universitäten führte. Allmählich fiel der Kirche die Hoheit über den Staat zu. Der Papst wurde gewissermassen zum Herrn der Welt, der die Fürsten und Bischöfe als seine Untergebenen betrachtete. Im Zusammenhang mit dieser Machtstellung traten in der Kirche Verfallserscheinungen auf, die den Ruf nach einer Reformation an „Haupt und Gliedern“ laut werden liessen. Als Beginn der Reformation gilt allgemein die Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers am 31. Oktober 1517.
Neben Luther waren es Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, die die Reformation begründeten, die zum Entstehen neuer, vom Papst unabhängiger Kirchen führte. Vorbereitet wurde die Reformation durch eine Reihe von Motiven: Die geistesgeschichtlichen Spannungen des Spät-Mittelalters; die in der Renaissance einsetzende historische Kritik auch an den Einrichtungen der Kirche; die durch die Erfindung der Buchdruckerkunst allgemein zugänglich gemachten Schriften der Bibel und der Kirchenväter; das Streben der Fürsten und weltlichen Machthaber, das landesherrliche Kirchenregiment weiter auszubauen; die sozialen Gegensätze in den Städten; die inneren Verfallserscheinungen der Kirche; die anwachsende Bedeutung der Laien und ihr Streben nach religiöser Erneuerung. Die Landeskirchen legten auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) ein erstes grundlegendes Bekenntnis ab: das Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana). Reichsrechtlich wurden sie 1559 im Ausgburger Religionsfrieden anerkannt. Von Zürich aus unternahm Zwingli und von Genf aus Calvin die Reformation in der deutschen bzw. französischen Schweiz. Zwischen beiden Reformatoren kam es wegen ihrer unterschiedlichen Abendmahlsauffassung zu keiner Einigung (Zwinglianismus im Bodenseegebiet; Calvinismus in Teilen des lutherischen Deutschland und in Frankreich). Im Gefolge der Reformation entstanden in den einzelnen deutschen Territorien voneinander unabhängige Landeskirchen, die dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstanden. Das 1580 veröffentlichte Konkordienbuch ist die massgebliche Sammlung der lutherischen Bekenntnisschriften. Der Heidelberger Katechismus von 1563 stellt die am weitesten verbreitete Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen (Schweiz, Schottland, Teile Deutschlands, Frankreich, Ungarn, USA: Presbyterianer) dar. In England kam es – aufgrund der Verweigerung der obersten Leitungsgewalt des Papstes – zur Entstehung der anglikanischen Kirche. Die Ausbreitung des Protestantismus in Europa führte auf der Seite der römisch-katholischen Kirche zur Gegenreformation, die das Ziel hatte, protestantische Gebiete zu rekatholisieren.
Die Ausbreitung des Christentums in der Neuzeit hängt mit der politischen Expansion Europas zusammen. Vor allem die Jesuiten waren es, die seit den geographischen Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts (Amerika, Seeweg nach Indien, Afrika, China) ihre Missionare bis nach Indien und China aussandten. Ein bedeutender Pionier war Franz Xavier, der bis nach Japan gelangte. Die organisierte protestantische Mission setzte erst mit der Entsendung des Missionars Bartholomäus Ziegenbalg Anfang des 18. Jahrhunderts nach Indien ein. Der Pietismus (Herrnhuter Brüdergemeine, Württemberger Pietisten) war sehr stark missionarisch engagiert. Zahlreiche Missionsgesellschaften (Leipziger, Hermannsburger, Neuendettelsauer Missionen) waren in vielen Teilen der Welt tätig. Es entstanden grosse „Stammeskirchen“ (Batak-Kirche in Sumatra; Gossner-Kirche in Nordindien; Kirchen im Inneren Ostafrikas), deren Mitglieder oftmals geschlossen zum Christentum übertraten. Einer der herausragenden Missionare in Afrika war der als liberaler Theologe und Arzt gleichermassen bedeutende Albert Schweitzer.
Das Christentum in Nordamerika geht vor allem auf die Einwanderung aus Europa zurück. Die Einwanderer behielten ihre Religion bei, woraus sich die heutige Vielfalt des amerikanischen Christentums erklärt, das etwa 250 verschiedene Denominationen umfasst. Im 19. Jahrhundert spielte die Auseinandersetzung um die Sklavenfrage eine grosse Rolle. Der später ermordete Baptistenpfarrer Martin Luther King (1929-1968) übernahm eine führende Rolle in der Bürgerrechtsbewegung. Im lateinamerikanischen Christentum ragen einige mutige Theologen hervor, welche die soziale Ungerechtigkeit in ihrem Land beseitigen wollten: Camillo Torres, Dom Helder Camara, Oscar Romero, Ernesto Cardenal.
Seit einigen Jahrzehnten wächst das ökumenische Bewusstsein um die Zusammengehörigkeit der Christen. 1948 wurde in Genf der Ökumenische Rat der Kirchen gegründet, dessen Entstehen Nathan Söderblom wesentlich mit vorbereitet hatte. Über die Ökumene aus Katholiken und Protestanten bzw. aus Katholiken, Protestanten und Orthodoxen hinaus ist der christlich-jüdische Dialog bzw. die „abrahamitische Ökumene“ (Juden, Christen und Muslime) wichtiger geworden. Zu den weltweit führenden Dialog-Autoren können John Hick, Paul F. Knitter, Hans Küng, Raimundo Panikkar, Ulrich Schoen, Leonard Swidler, A.Muhsin Sabanci, Wilfred Cantwell Smith gezählt werden.